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Corinne Kaszner: Historisieren und/oder überwinden? Foucault im Kontext "Neuer Materialismen" (Abstract of the conference "Historicizing Foucault" in Zurich, presentation on March 21, 2015)


© NASA / ESA / C. Heymans, U. Brit. Columbia / M. Gray, U. Nottingham / M. Barden, U. Innsbruck / C. Wolf, U. Oxford / K. Meisenheimer, MPIA (spektrum.de)

Until March 19, 2015, when our conference "Historicizing Foucault" begins in Zurich, we will consecutively publish the abstracts of the accepted presentations. Corinne Kaszner (Berlin) will talk about "Foucault im Kontext Neuer Materialismen" in the panel "Foucault in context" on March 21, 2015.

Lange Zeit schien Foucaults Werkzeugkiste tatsächlich unerschöpflich. Neben den Standardbegriffen ‘Diskurs' und ‘Macht' hielten sukzessive auch weniger griffige Schlagworte wie ‘Genealogie', ‘Biomacht', ‘Unternehmer_in meiner selbst' und ‘Dispositiv' Einzug in die unterschiedlichsten Disziplinen, von den Geschichtswissenschaften, über die Soziologie bis zur Kritischen Migrationsforschung und Architektur.

Demgegenüber mehren sich die Stimmen, die das Ende des foucault'schen Werkzeug- und Wissenschaftsmonopols verkünden. New Materialism und Speculative Realism – unter diesen Bannern versammeln sich aktuell vor allem im englischsprachigen Raum Beiträge, denen es um die Überwindung der vorwiegend mit Fragen von Sprache, Diskurs und Subjektivität befassten sozial- und kulturwissenschaftlichen Gegenwartsanalysen geht.[1] Ob in der Tradition Gilles Deleuzes oder Niels Bohrs, gemeinsamer Nenner dieses neuen ‘turn to matter' bzw. ‘… to the real' ist die Annahme, dass die poststrukturalistischen Reflexionen über den Konstruktionscharakter von Welt und Subjekt zu einer Art Tabuisierung des Materiellen und seiner Eigenlogiken beigetragen haben. Kritisiert wird dabei ein repräsentationalistischer (Barad) bzw. korrelationistischer (Meillassoux) Zugang zur Welt, durch den diese nur als Korrelat menschlichen Bewusstseins betrachtet werden könne.

Was hat all das nun mit Foucault zu tun? Innerhalb des neo-materialistischen Lagers finden sich Anordnungen, die Foucault explizit aufseiten besagter repräsentationalistischer, korrelationistischer Ansätze verorten. Für Quentin Meillassoux beispielsweise, einen der Vordenker des Speculative Realism, verbleibt Foucault trotz seiner berühmten Proklamation des ‘Endes des Menschen' in der Ordnung der Dinge eindeutig einem anthropozentrischen Paradigma verhaftet: "his comments can easily be considered as a discourse-correlated-to-the-point-of-view-of-our-time, and rigorously dependent on it. […] His thesis on the ‘disappearance of man' is about man understood as an object of ‘human sciences,' not about the correlate as I conceive it".[2] Rick Dolphijn und Iris van der Tuin, HerausgeberInnen des Interviewbandes zum Neuen Materialismus, pflichten dem bei, wenn sie sagen: "Kantian anthropocentrism has not at all been ‘solved' by Foucault".[3] Auch Karen Barad lässt Einwände verlauten, in diesem Falle aus der Disziplin der Physik. Barad zufolge müsse das Panoptikum, Foucaults empirischer Inbegriff der Analyse von Subjektivierungsprozessen, selbst historisiert und zugunsten eines Begriffs des ‘Apparates' aktualisiert werden, im Zeichen von "contemporary technoscientific practices [which] provide for much more intimate, pervasive, and profound reconfigurings of bodies, power, knowledge, and their linkage than anticipated by Foucault's notion of biopower".[4]

Ziel meines Beitrags ist es, diese zunächst als grobe Generalthesen anmutenden Abgrenzungs- und Überwindungsversuche ernst zu nehmen und mich an einer Historisierung Foucaults zu versuchen, die sein Werk von dem Punkt aus neu verstehen will, an dem es nicht mehr ‘zeitgemäß' und ‘nützlich' erscheint zur Analyse aktueller gesellschaftspolitischer Problemstellungen. Hierfür gehe ich der Frage nach, wie sich anhand der versuchten Abgrenzungsbewegungen die Spezifik des foucault'schen ‘anthropologischen Schlummers' präziser fassen lässt.

[1] In Anlehnung an den Interviewband New Materialism: Interviews & Cartographies (2012, hrsg. Rick Dolphijn und Iris van der Tuin, Ann Arbor: Open Humanities Press) verwende ich den Begriff des Neuen Materialismus als Oberbegriff für die eigentlich heterogenen Strömungen des Neuen Materialismus im engeren Sinne (vertreten bspw. durch Rosi Braidotti und Manuel DeLanda), des Spekulativen Realismus (z.B. Quentin Meillassoux) und des Agentiellen Realismus (Karen Barad). Für einen Überblick siehe vor allem Coole, Diana und Frost, Samantha (Hrsg.) New Materialisms. Ontology, Agency and Politics. Durham/London: Duke University Press sowie Bryant, Levi; Srnicek, Nick und Harman, Graham (2011) (Hrsg.) The Speculative Turn. Continental Materialism and Realism. Melbourne: re.press. Des Weiteren: Meillassoux, Quentin (2006) Après la Finitude. Essai sur la nécessité de la contingence. Paris: Éd. du Seuil und Barad, Karen (2007) Meeting the Universe Halfway. Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Durham/London: Duke University Press.

[2] Meillassoux, interviewed in Dolphijn/van der Tuin 2012: 77.

[3] Dolphijn/van der Tuin 2012: 167.

[4] Barad 2007: 200.

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