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Poetiken der Infrastruktur | Zum Unterbau medialer Kommunikation | Programm

Tagung der Forschungsgruppe Mediologie@Wien
und des Instituts für Wissenschaft und Kunst

am 13. Dezember 2014 im Depot in Wien


Christina Kubisch: Cloud (2011/2014). Galerie Mazzoli, Berlin. Foto: Matthias Bildstein.

Die Stromleitungen wurden vergraben, die Telefonkabel durch Funkwellen ersetzt und die Datenspeicher an fernen Orten installiert. Abgesehen von den Apparaten, die wir als Konsumenten bedienen, scheinen die Infrastrukturen der Kommunikationstechnologien aus unserem Sichtfeld zu geraten. Während der alltäglichen Wahrnehmung die Kabel, Kanäle und Laufwerke abhanden kommen, treten sie vermehrt als Akteure in kulturwissenschaftlichen Studien auf. Die Tagung "Poetiken der Infrastruktur" versammelt Forscher_innen und Praktiker_innen aus Europa und den USA, um diese Un-Sichtbarkeit zu diskutieren: Wie machen sich die Unterbauten medialer Kommunikation an historischen und aktuellen Schauplätzen bemerkbar?

Konzept und Koordination: Simon Ganahl, Arndt Niebisch, Martina Süess


10:00–10:45 Uhr
Gabriele Schabacher (Weimar):

Infrastruktur-Arbeit
Zur Kreativität des Reparierens

Landläufig werden Infrastrukturen zumeist als statische Systeme angesehen. Sie gelten als Voraussetzung für Mobilität oder Telekommunikation, da sie die basalen Wege, Strukturen und Institutionen für diese Operationen bereitstellen. Unterbrechungen einer reibungslosen Funktionalität der Blackbox "Infrastruktur" manifestieren sich vor allem in Momenten der Störung. Insbesondere die Anfälligkeit vernetzter (Versorgungs-)Infrastrukturen für unwägbare kaskadische Effekte im Fall von Großschadenslagen stellt dabei ein in der Forschung vielfach diskutiertes Problem dar. Anders als bei diesen katastrophischen Szenarien ist den vermeintlich profaneren Praktiken der Infrastruktur-Erhaltung (Wartung, Reparatur) weitaus weniger Aufmerksamkeit zuteil geworden. Ziel des Vortrags ist es, dieses permanente Arbeiten an und von Infrastrukturen sichtbar zu machen. Zu diesem Zweck werden insbesondere Reparaturmaßnahmen behandelt. Dabei wird zu zeigen sein, inwiefern es sich beim Reparieren keineswegs um ein sekundäres Verfahren, sondern um eine kreative Kulturtechnik ersten Ranges handelt.


11:00–11:45 Uhr
Urs Stäheli (Hamburg):

Warten, schlechte Luft, Schlaglöcher
Infrastrukturen des Tourismus

Auch wenn Tourismus – zumindest von den deutschen Sozial- und Kulturwissenschaften – vernachlässigt worden ist, so gehört er dennoch zu den wichtigsten globalen kulturellen Praktiken. Allerdings fällt es schwer zu bestimmen, was touristische Praktiken auszeichnet: Vom Verlangen nach Außeralltäglichkeit, nach dem Exotischen oder nach einer Gegenwelt zur Arbeit ist die Rede – ein Verlangen, das einen Ortswechsel erfordert. Dabei bleiben aber die alltäglichen infrastrukturellen Bedingungen dieser Mobilität meist unsichtbar (zumindest solange diese selbst nicht zur spektakulären Attraktion werden) oder werden als bloße Mittel gefasst. Dieser Vortrag interessiert sich für die Materialität von häufig übersehenen alltäglichen Infrastrukturen des Tourismus (z. B. Transport- und Kommunikationsinfrastrukturen). Der Vortrag entwickelt die These, dass gerade die sinnliche Erfahrung von solchen Infrastrukturen im Zentrum des touristischen Erlebens steht.


12:00–12:45 Uhr
Shannon Mattern (New York):

Sense-able Structures
Infrastructural Aesthetics

There's been much recent interest in "making visible the invisible," in manifesting the "optics" of subterranean, covert, and seemingly immaterial infrastructures. In this talk I'll begin by addressing what we can learn about urban infrastructure by engaging it with our "other" senses – by listening to it, touching it, even smelling and tasting it. I'll then examine how these aesthetics "scale down" by examining infrastructure of a smaller dimension: that of furniture. I'll share some preliminary case studies from my current research on "intellectual furnishings," which explores how the design of our media-organizational devices – from book stacks to computer server racks – scaffolds our media technologies, informs how bodies relate to those media, and embodies knowledge. These infrastructures, both physical and intellectual, are also simultaneously functional, affective and aesthetic.


14:15–15:00 Uhr
Monika Dommann (Zürich):

Getreidesilos und Eisenbahnlinien
Politik und Poetik des Speichers

Eisenbahnen, Getreidesilos, Terminbörsen: Diese drei Schlagworte stehen in der Zwischenkriegszeit für den amerikanischen Kapitalismus, wie er sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte. Die Eisenbahnen stehen am Anfang und zugleich im Zentrum dieses Dreiecks. Die Telegraphen- und Eisenbahngesellschaften waren die ersten Unternehmen, welche den Beruf des Managers erfunden hatten, um die geographisch weit verstreuten Operationseinheiten zu koordinieren. Doch es waren die Getreidespeicher, welche die Basis des expandierenden Geschäftsfeldes der Eisenbahngesellschaften darstellten. Am Ende dieser Verwertungskette standen die Getreidebörsen. Der Vortrag skizziert anhand einer Analyse von Ingenieursfachzeitschriften, Handbüchern, Regierungsdokumenten, Filmen und Literatur die Politik und Poetik des Getreidespeichers. Es geht dabei auch um den Versuch einer Geschichte des Kapitalismus mittels eines Blicks auf die logistischen Infrastrukturen der Moderne und der Spätmoderne. Welcher Blick entsteht, wenn wir die Weltwirtschaft als materielle Kultur zu erfassen versuchen? Welche Narrative und Bildprogramme haben die Ingenieurswissenschaften, welche diese Infrastrukturen entwickelt haben, hervorgebracht? Was wird dabei sichtbar? Und was bleibt verborgen?


15:15–16:00 Uhr
Anton Tantner (Wien):

Aufschreibesysteme
Eine geschichtswissenschaftliche Perspektive

Die frühneuzeitlichen Städte sind von einer Reihe von Schreibpraktiken gekennzeichnet, die mit dem Kittler'schen Begriff der Aufschreibesysteme näher in den Blick gerückt werden können: An den Grenzen der Städte, an den Durchgängen ihrer Mauern und Linien registrieren Torschreiber die Neuankömmlinge; Adressbüros vermitteln dank ihrer schriftlich verfassten Protokollbücher Waren, Immobilien, Kapital und Arbeit; Winkelschreiber und Universalschreibstuben stellen ihre zuweilen verrufenen Dienste der illiteraten Bevölkerung zur Verfügung. Und dann gibt es noch die Utopie von der vollständigen Verzeichnung der Stadtbewohner_innen und ihrer Aufenthaltsorte in einem umfassenden, permanent aktuell gehaltenen Melderegister, wie sie etwa von einem gewissen Jacques François Guillauté 1749 Ludwig XV. in einer Denkschrift zur Reform der französischen Polizei unterbreitet wird; seine Papiermaschine kann geradezu als Urszene der Kontrollgesellschaften gelten, analog der Bedeutung, die dem Bentham'schen Panoptikon für die Disziplinargesellschaften zukommt.


16:15–17:00 Uhr
Anette Baldauf (Wien):

Technologies of Dreaming
Victor Gruen and the Shopping Mall

For decades architects have dismissed the spatial quality of shopping malls as junkspace, and sociologists have cursed the mall as the death knelt of public space, but the mall continues to attract capital, people as well as mass gatherings. In the last year, for example, shopping malls in the suburbs of Sao Palo have been repeatedly appropriated for so-called rolezinhos: thousands of poor, young Brazilians come, mill around and leave. What is it about this supersized commercial machine that lends itself to such corporeal appropriation? What features of its materiality correspond with the desire to lay claim to the space as public space and enact the dramas of urban live? How is it that this generic, homogeneous and de-singularized spatial arrangement becomes a place of projected escape, a safe transit into an imaginary elsewhere?


17:30–18:15 Uhr
Rory Solomon (New York):

Speaking Freely in the Stack
On Critical Media Infrastructures

What are the media-technological criteria for free speech? In this talk I will examine the concept of "critical infrastructure," in the sense of various types of media apparatus necessary for the free expression of critical thought. I will begin with a consideration of the concept of parrhesia, a Greek term used by Foucault to examine certain types of free speech. In a communication landscape largely mediated by software technologies and digital networks, there is a tendency to conceptualize these networks through models such as the frontier or the public square. However, considering issues such as ownership and visibility, I will argue that the networks through which we communicate are really more like a shopping mall: pseudo-public spaces operated primarily by commercial business interests. Examples such as open source software and distributed mesh networks will be posited as sites in which we might locate more viable spaces for speaking freely.


18:30–19:15 Uhr
Christian Ganahl (Schaan):

Setting Standards
Experiences with Product Standardization Processes in the Entertainment Industry

The globalization of markets increasingly leads to institutionalized infrastructures in industries with network externalities such as the professional entertainment industry; this may be a thread or an opportunity for manufacturers of such infrastructures. The company Neutrik AG has managed to continuously set standards in the professional entertainment market which positively affected brand proliferation and competitive advantage. How has this been achieved? What are the drivers of a manufacturer like Neutrik? Examples of the establishment of infrastructure standards will be illuminated as well as their success related to the strategic approach, company requirements, and launch behavior.


Georg Weckwerth, Kurator für Klang und Kunst, wird im Rahmen der Tagung ausgewählte Werke der von ihm kuratierten Ausstellung "Connecting Sound Etc. Cable Works, Cable Sounds, Cables Everywhere" vorstellen, die im Sommer 2014 im freiraum quartier21 INTERNATIONAL im MuseumsQuartier Wien zu sehen und hören war.

Anton Tantner wird am Sonntag, dem 14. Dezember 2014, eine Stadtführung für die Tagungsteilnehmer_innen anbieten: "Die Ordnung der Stadt – Eine Hausnummern-Flanerie durch die Wiener Innenstadt". Uhrzeit und Treffpunkt werden bei der Tagung bekannt gegeben.

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