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1983 - Kalter Krieg und "tyrannischer Singular" des Friedens?

Friedensdemo vom 22. Oktober 1983 (Bonn, Hofgarten)
Friedensdemo vom 22. Oktober 1983 (Bonn, Hofgarten)

Foucault, la gauche et la politique ist der Titel einer eleganten kurzen Studie von José Luis Moreno Pestaña, die sich von manch umfangreicherer Sekundärliteratur nur schon durch ihre Aufmerksamkeit für biographische und werkgeschichtliche Details abhebt – und damit ein grelles Licht in jene Sphären wirft, wo der "Teufel" sich gemeinhin zu verstecken pflegt. Doch können Foucault überhaupt noch "Geheimnisse" entlockt werden? Im Anschluss an seine soziogenetischen Analyse[1] des "frühen" Foucault spürt der von Bourdieu geprägte Soziologe hier den intellektuellen Transformationen des "ganzen" Foucault nach, um – durchaus interessiert – die politischen Kontexte und Implikationen nochmals exakt auszuleuchten.

Deutlicher als bisher zeigt sich, wie Diskontinuitäten oder "Brüche" – mit heimlichen Langlebigkeiten auf "tieferer" Ebene – nicht nur zentrale topoi in Foucaults Denken waren, sondern auch seine Wandlungen quer durch das sozio-politische Spektrum charakterisieren. Dass auf den Austritt aus der kommunistischen Partei und bis 1968 eine relativ inaktive oder unpolitische Phase folgte, während derer er gleichwohl einen "penchant gaulliste" zeigte, der wiederum mit persönlichen Beziehungen, Herkunftsprägungen oder Karriereopportunitäten zu tun hatte, ist allgemein bekannt. Die Beziehungen zu einflussreichen hommes de droite wie Raymond Aron hatten aber noch tiefere Implikationen, wie Moreno Pestaña an jenem "Anti-Humanismus" nachzuweisen versucht, der zum intellektuellen "Markenzeichen" des Autors der Ordnung der Dinge wurde: die fundamentale Kritik an den Humanwissenschaften unterminierte schliesslich auch ihren reflexiven Gebrauch für das Projekt sozialer Transformation oder Reform und entsprach damit klar anti-sozialistischen Tendenzen in der Politik.[2] Passend dazu fällt Foucaults einziges Engagement für (staatliche) Reformprojekte mit seiner Mitgliedschaft in der Kommission zur Ausarbeitung der berüchtigten Réforme Fouchet zusammen, die im Sinne Arons mit elitärer Bildungspolitik der drohenden "Vermassung" der Universität zuvorkommen wollte und dadurch die revolutionäre Stimmung im avant Mai zusätzlich aufheizte. Ist das, alles in allem, schon Grund genug, Foucault zu den vielgescholtenen Héritiers zu zählen?[3]

Auch die Schläge, die der bis anhin Privilegierte 1968 in Tunis einstecken musste, scheinen den habituellen Kern unberührt gelassen zu haben, obgleich sie eine imageprägende Phase politischer Radikalität einleiteten. Foucault – spätestens seit 1966 ein intellektueller "Star" – zeichnet sich für Moreno Pestaña nun nicht zuletzt durch eine "quasi-meteorologische" Sensibilität für die Regungen und Erwartungen eines plötzlich stark politisierten Publikums aus;[4] sein endorsement des Maoismus schien daher mehr äusserlich oder instrumentell – allenfalls mit den "libertären Tonalitäten" seiner französischen Spielart soll sich Foucault, der gerüchteweise auch als Gastgeber militanter reunions stets um einen korrekt gedeckten Tisch besorgt war, "innerlich" identifiziert haben können.[5] Auf die radikal-revolutionäre Ernüchterung folgt der "Flirt" mit dem Neoliberalismus (oder war da noch mehr?), wobei Foucault sich wegen seiner apologetisch-affirmativen Erörterung liberaler Gouvernementalität eine "olympische Indifferenz für soziale Ungleichheiten" vorwerfen lassen muss.[6] Die "Amerikanophilie" des "späten" Foucault ist zuletzt ebenso wenig ein Geheimnis wie sein prägnanter Anti-Totalitarismus/-Kommunismus.[7] Dennoch überraschen die Worte, die er 1983 am Rande eines Kolloquiums geäussert haben soll: verärgert über die unbedachte Verwendung der Begriffe "Frieden" und "Pazifismus" im Singular ("[d]er Pazifismus für welchen Frieden? [d]er Pazifismus im Verhältnis zu welchem Frieden oder im Verhältnis zu welchem unter einem verkündeten Frieden versteckten Krieg?") mahnt er die Notwendigkeit einer Untersuchung dessen an, "[..] was es unter diesem tyrannischen, despotischen und blinden Singular des Frieden gibt [..]".[8] "Krieg" und "Kampf" als Negationen von "Frieden" – oder auch der "Tod" – haben einen zentralen Stellenwert in Foucaults Denken, das darauf zielt, sie mit Nietzsche aus hegelmarxistischen Denkhorizonten zu befreien. 1983 kommt diesen Begriffen aber first and foremost eine ganz konkrete politische Bedeutung zu: der "Kalte Krieg" befindet sich nach dem Nato-Doppelbeschluss in seiner letzten "heissen Phase" und in ganz Europa ziehen hundertausende Anhänger der Friedensbewegung mit Slogans wie "Lieber rot als tot" durch die Strassen. Foucaults statement ist in diesem Kontext recht erstaunlich und lässt Moreno Pestaña gar "den Atem stocken", zumal sich die Formulierungen in gefährlicher Nähe zum reaganschen Bellizismus bewegen.[9] Auch war es nicht irgendein Kolloquium, das Foucault die Gelegenheit bot, sondern eine Veranstaltung des Institut International de Géopolitique, gegründet von Marie-France Garaud, der (ultra-)gaullistischen Präsidentschaftskandidatin von 1981. Foucault hatte zwar mit einer Teilnahme gezögert und erschien auch nur en passant, dennoch teilte er offenbar mit den Veranstaltern den Verdacht, dass die pazifistischen ebenso wie die terroristischen Bewegungen in Europa von der UdSSR unterstützt werden [sic!].[10] Die Bekanntschaft mit Marie-France Garaud, die wie Foucault aus der bourgeosie von Poitiers stammte, war über die nouveau philosophes angebahnt worden, und entwickelte sich offenbar zu mehr als einer rein sachlichen Beziehung. Immerhin weiss Paul Veyne zu berichten, wie Foucault die von der Linken verabscheute Politikerin beziehungsweise ihre "literarische Persönlichkeitsstruktur" in einem Telefonat mit Libération leidenschaftlich verteidigte, um seinem Freund gleich danach zu "beichten": "Leider habe ich morgen meine Vorlesung im Collège. Sonst hätte ich, stell dir vor, den Nachmittag auf dem Schoss von Marie-France Garaud verbringen können!".[11]

Was sollen diese Beobachtungen und Anekdoten nun besagen? War Foucault etwa – heimlich oder irgendwie – ein "Rechter"? Sicher nicht. Er war aber offensichtlich ein recht seltsamer "Linker" – oder jedenfalls einer, der sich keinem Dogmatismus der "reinen Lehre", manichäischen Beschwörungen von Gut und Böse oder sonstigen Gesinnungsdiktaten unterwerfen wollte, und der mit steter Abscheu vor jener "Moral des Personenstandes"[12], die immer zuerst die "Ausweispapiere" sehen will, besonders in seinen späten Jahren die Prävalenz solcher "Archaismen" unter Linken beklagte.[13] Und schliesslich blieb Foucault – ob man nun meint, ihn deswegen mit Bourdieu fassbar(er) machen zu können, oder nicht – wohl zeitlebens im "Bannkreis" seiner Herkunft, dem er – ganz menschlich, allzu-menschlich – nicht entkommen konnte oder wollte.



[1] José Luis Moreno Pestaña. En devenant Foucault. Sociogenèse d'un grand philosophe. Bellecombe-en-Bauges 2006.

[2] José Luis Moreno Pestaña. Foucault, la gauche et la politique. Paris 2010. S. 60f.

[3] vgl. l.c., S. 50f.

[4] l.c., S. 67f.

[5] l.c., S. 96.

[6] l.c., S. 40

[7] l.c., S. 126f.

[8] Michel Foucault. "…sie haben verkündet…über den Pazifismus: seine Natur, seine Gefahren, seine Illusionen", In: Defert, D., Ewald, F., Lagrange, J. (Hg.). Michel Foucault. Schriften in vier Bänden (Dits et Ecrits), Bd. IV: 1980-1988, Frankfurt a. M. 2005, S. 657f.

[9] José Luis Moreno Pestaña. Foucault, la gauche et la politique. Paris 2010. S. 99 u. 142.

[10] Michel Foucault. "…sie haben verkündet…über den Pazifismus: seine Natur, seine Gefahren, seine Illusionen", In: Defert, D., Ewald, F., Lagrange, J. (Hg.). Michel Foucault. Schriften in vier Bänden (Dits et Ecrits), Bd. IV: 1980-1988, Frankfurt a. M. 2005, S. 657.

[11] Paul Veyne. Foucault: Der Philosoph als Samurai. Stuttgart 2009. S. 167f.

[12] Michel Foucault. Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M. 1997. S. 30.

[13] Michael C. Behrent. Liberalism without humanism: Michel Foucault and the Free Market Creed, 1976-1979 (Modern Intellectual History 6/3 2009). S. 563.

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