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Filmkritik: "Foucault gegen Foucault" auf arte

Die Dokumentation Foucault gegen Foucault, die arte am 18. Juni sendete, konnte es vielleicht nicht besser machen, als es Dok-Filme über Philosophen und sonstige "grosse Denker" meist tun. Sie gehen zurück an den Ort des Helden – in dem Fall die alte Bibliothèque Nationale, als Heiligtum ohne Benutzer inszeniert, so als habe Foucault immer alleine dort gesessen, dafür flankiert von schon fast ebenso ikonischen und ebenso einsamen Gestalten (Farge, Eribon, Didi-Hubermann, Bersani). Dazu ein junger Soziologe (ausgerechnet…!), Geoffroy de Lagasnerie, der offenbar die Zuschauerin, den Zuschauer beim Weg ins dunkle Labyrinth "Foucault" bei der Hand nehmen soll und gleich mit schlichtem Unsinn beginnt: Erstens standen Foucault nicht "zwanzig", sondern dreißig Schreibjahre zur Verfügung (vgl. Dits et écrits, 1954-1988). Und zweitens: Warum sollte gerade bei Foucault, wie de Lagasnerie meint, der "Eigenname" die Einheit eines disparaten Werks verbürgen? Man muss diesen Zusammenhang eher in Leitmotiven, durchlaufenden Problematisierungen und konsequenten Frontstellungen suchen, seien sie theoretisch oder empirisch. Diese sind mit Händen zu greifen und können wohl nur von sehr unbedarften Lesern übersehen werden.


Zeitlos schön: der Rollkragenpullover!

Und daher drittens: Warum soll Foucault sich permanent widersprochen haben, so dass "Foucault gegen Foucault" als sinnvoller Titel erscheinen könnte? Auch wenn Foucault kein Systematiker war, war er noch lange keiner, der sich "von Buch zu Buch widersprochen" hätte. Doch das sollen offenbar auch die Bilder zeigen: Foucault, Professor am Collège de France, mit Megafon bei einer Demonstration, Auge in Auge mit hochgerüsteten Polizisten, an der Seite von Sartre und auch ohne Sartre, später im Nadelstreifenanzug oder auch mit Cowboy-Hut unter amerikanischen Studenten – etc., man kennt diese Bilder. Allein, was sagen sie? Dass Foucault "widersprüchlich" war? Vielleicht zeigen sie eher, in ihrer unkommentierten Reihung, dass Foucault gegen Foucault seinen Gegenstand zur Ikone stilisiert: Foucaults Schädel als Kult, auch wenn der Mann, immer wieder anders kostümiert, angeblich gegen sich selbst kämpfte…

Doch abgesehen davon: Die beiden Themen, auf die sich Foucault gegen Foucault konzentriert, sind Grenzen und Aktualität. Was die Aktualität betrifft, so macht die Dokumentation deutlich, dass Foucaults Forderung, die Philosophie müsse die Frage nach der eigenen Gegenwart stellen, programmatisch war. Anhand historischen Filmmaterials werden einige der Auseinandersetzungen vor Augen geführt, die Foucaults Arbeit inspirierten. Man neigt dazu, die geballten Fäuste der Studenten und jene Aufrufe an die Arbeiter, die Philosophen aus gutem Hause auf Plakate schrieben, als pathetische Gesten abzutun. Aber wo, fragen wir uns, finden die heutigen Kämpfe statt? Wo treten Professoren auf die Straße, um ihren Protest kundzutun? Wo ist Studenten der Einspruch wichtiger als die Karriere? Diese Unterschiede zeigen, dass Foucaults Denken eben nicht "zeitlos" ist, wie es am Ende des Films heißt, sondern mit den Worten de Lagasneries fast "journalistisch" auf die Gegenwart bezogen war – auf ein Heute, das nicht mehr ganz unseres ist.

Der Film zeigt zu recht einen kämpferischen, einen politischen Foucault. Man könnte, rückblickend und nachdenklich, sich allerdings auch fragen, ob die Bilder von Foucault als militant nicht auch erkennen lassen, dass seine Leidenschaft fürs Heute und seine Verwicklung in zeitgenössische "Kämpfe" ihn gelegentlich blind oder zumindest einäugig machte – dass dieses Engagement, mit andern Worten, seine Arbeit in sogar stärkerer Weise in seiner Zeit verankert hat, als wir gemeinhin annehmen. Die Bemerkung von Leo Bersani, dass ihm Foucaults Begeisterung für die kalifornische Schwulenbewegung etwas "naiv" erschien, ist nur einer von vielen möglichen Hinweisen darauf. Die Dokumentation betont zu recht den Zusammenhang zwischen den Studien über die antiken Selbsttechniken und den Alternativkulturen der späten 1970er Jahre. In Foucaults Augen, erklärt Didier Eribon, wiesen diese kollektiven Lebensformen Wege zu einer anderen Subjektivität, ja zu neuen Individuen. Allein, war der Versuch, aus seinem Leben ein Kunstwerk zu machen, gemessen an den politischen Standards der Linken nach 68 wirklich ein Akt des Widerstandes – und ist er auch aus heutiger Sicht wirklich widerständig? Handelt(e) es sich nicht um einen Anspruch, dem nur entsprechen kann, wessen Grundbedürfnisse ohnehin gedeckt sind? Wenn sich die Sushi-Boxen im Kühlschrank stapeln und das französische Bett frisch bezogen ist, dann können die Körper in Studios geformt, tätowiert, gepierct werden. Der Einwand, Foucault habe es doch nicht so gemeint, greift nicht, weil es dem omnipräsenten body-Marketing ganz egal ist, wie Foucault es "gemeint" hat. Für jeden Lebensstil gibt es die passenden Schuhe, die entsprechende Tasche, den geeigneten Urlaub – und schwule Paare sind inzwischen eine begehrte Zielgruppe, z.B. als Großstadttouristen.

Die Macht zieht Grenzen, sagt de Lagasnerie am Anfang des Films, und am Ende lobt Georges Didi-Huberman Foucault für seine Montagen über Grenzen hinweg. Alles schön und gut (wenn auch widersprüchlich und, im Fall von de Lagasnerie, oberflächlich bis falsch). Allein, Foucault gegen Foucault zeigt vor allem, dass seine Grenzen nicht mehr unsere Grenzen sind. In einem im Film eingeblendeten Fernseh-Interview sagt Foucault, seine Arbeit folge durchaus aktuellen "Konjunkturen". Er hat sich, wenn man genau hinhört, laufend selbst historisiert, sich mit seinen Fragen und Problematisierungen an die Grenzen seiner Gegenwart gebunden, wie weit auch die historischen Bögen gewesen sind, die er dazu schlug. Die Irren, das Gefängnis, der Sex – all diese Themen hat Foucault natürlich keineswegs "als Erster" thematisiert, das waren Themen seiner Zeit. Das spricht nicht gegen ihn. Aber es gäbe Anlass zu einer Foucault-Lektüre, die in vielleicht neuer Weise darauf achtet, Historisierbares und in die Gegenwart Übersetzbares auseinanderzuhalten. Foucault bliebe so mit Sicherheit lebendiger als auf diese Weise zur Ikone versteinert und abgefeiert in einer leeren BN.

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