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"Why the hell do you write so badly..?"

…auf John Searles direkte Frage folgt Foucaults noch freimütigere Antwort. Man ist versucht, die quellenkritischen Einwände mit einem "Se non è vero.." zu entkräften, denn die auf youtube herumschwirrende Searle-Anekdote passt nur zu gut zu den klaren Worten eines weiteren wichtigen "Zeugen" aus Berkeley: "By the late 1970s, Foucault was thoroughly fed up with France [..]" betont Paul Rabinow in einem kürzlich erschienenen Essay (Rabinow) über die damaligen Lebensumstände seines Freundes.[1]

Als Gründe für Foucaults Überdruss führt Rabinow neben den Zwängen der Professur am Collège de France und der allgemeinen politischen Situation in Frankreich auch die Hindernisse bei der alltäglichen Forschungsarbeit an. Der Hinweis auf die Relevanz von Mikro-Praktiken in Foucaults Denken hilft verstehen, weshalb ihn die bürokratisch reglementierte und durch häufige Streiks der Gewerkschaft zusätzlich verzögerte Bücherausgabe in der Bibliothèque Nationale de France sehr ärgerte – besonders als er am Anfang seiner Forschungen zur Antike stand und auf einschlägiges Quellenmaterial angewiesen war (Rabinow 197). Die Amerika-Aufenthalte ab 1979 verschafften Foucault (nicht zuletzt durch das flexiblere Bibliothekssystem) ein vergleichsweise ideales Arbeitsumfeld, was zusammen mit vielen neuen Freundschaften sein "amerikanisches Glück"[2] ausmachte. Dieses episodische Glück kontrastierte mit der zunehmend unerträglichen Situation in Frankreich: so stellte der Parti Socialiste vor den Präsidentschaftswahlen von 1981 die Intellektuellen vor die Wahl, entweder seine Programme zu unterstützen oder als Verräter an der sozialen Gerechtigkeit zu gelten (Rabinow 194) – was wie ein fernes Echo der totalitären Apelle des PCF aus den 50er-Jahren klang; zugleich wurde Foucault von den suizidalen Anwandlungen seiner Jugendzeit eingeholt, und war Selbstmord für ihn – wie in einem seiner frühesten Texte [3] – wieder als ultimativer Akt der Freiheit ein Thema.

Rein biographisch können Foucaults Frankreich-Aversionen mit dem Hinweis auf seinen Plan, sich in den USA niederzulassen, abgerundet werden. Wie aber ist sein Unmut im Kontext des "Werks" zu deuten, wenn man sich gegen einen kruden lebensweltlichen Kausalismus verwahren und dennoch über die blosse Feststellung des schlichteren oder "amerikanischeren" Stils der Texte aus den 80er-Jahren hinausgelangen will? Für Rabinow ist klar, dass zentrale Konzepte aus Foucaults "Spätwerk" auch viel mit den Wirren und Transformationen seiner damaligen Lebenssituation zu tun hatten (Rabinow 199). Etwas anderes wäre bei einem Denker schwer vorstellbar, der sein Schaffen ausdrücklich als "Problematisierungen" oder "Einsätze" mit praktisch-politischer Intention verstand, deren subversive Wirkung zudem auf einen französischen Resonanzraum hin kalkuliert war. Worauf läuft diese allgemeine Feststellung aber ganz konkret hinaus? Wäre zum Beispiel die "parrhesia" so etwas wie die grosse "philosophische Schwester" jenes anekdotischen "frank speech" zwischen Searle und Foucault? Die Hypothese hat ihren Reiz, allerdings wirft sie wiederum die Frage auf, wieso Foucault diese Art von Wahrhaftigkeit offenbar nur privatim und unter der kalifornischen Sonne praktizierte.



[1] Paul Rabinow. Foucault's Untimely Struggle, in: Falzon, O'Leary, Sawicki (Hgg.). A companion to Foucault. Chichester 2013. S. 189-204 (hier S. 197).

[2] Didier Eribon. Michel Foucault. Paris 1989. S. 338.

[3] Michel Foucault. Introduction, in: Binswanger (L.), Le Rêve et l'Existence (trad. J.Verdeaux), Paris, Desclée de Brouwer, 1954, pp. 9-128, in: Daniel Defert, François Ewald (Hgg.). Dits et écrits / Michel Foucault, 1 : 1954 – 1969. Paris 1994. S. 65-119.

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