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Arte fragt: "Wer also war Althusser?"


Louis Althusser

Am Mittwoch, den 18. Januar 2017, zeigt der deutsch-französische Kooperationssender Arte um 21.50 Uhr die sechzigminütige Dokumentation "Wer also war Althusser?" (Regie: Bruno Oliviero). Das filmische Portrait wirft einen Blick auf die komplexe Biographie eines der einflussreichsten Intellektuellen der französischen Nachkriegszeit: Louis Althusser (1918–1990) war eine gefeierte Ikone und ein viel kritisierter Erneuerer des Marxismus, sorgte jedoch auch für großes Aufsehen, als er 1980 seine Ehefrau Hélène Rytmann in ihrer gemeinsamen Wohnung erwürgte.

Althusser, der seit Jahren immer wieder wegen schweren psychischen Erkrankungen und depressiven Schüben in Behandlung gewesen war, wurde für diese Tat von einem Gericht später als unzurechnungsfähig erklärt. Michel Foucault, der an der École normale supérieure ein Schüler Althussers gewesen war und ihm 1950 in die Kommunistische Partei Frankreichs folgte, blieb seinem Lehrer zeitlebens verbunden. Diese Freundschaft wurde weder durch Foucaults Parteiaustritt und seinen Bruch mit dem Marxismus wenige Jahre später noch durch den nie ganz aufgeklärten Mord an Rytmann beendet. Bereits kurz nach dieser schrecklichen Tat besuchte Foucault den in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesenen Althusser und traf sich auch anschließend immer wieder mit ihm.

Als Lehrer von Alain Badiou, Jacques Derrida und Jacques Rancière (der sich in seiner 1975 veröffentlichten Schrift Die Lektion Althussers[1] von seinem einstigen Mentor abwendete) prägte Althusser das Denken einer ganzen Generation französischer Intellektueller, und zwar in theoretischer wie politischer Hinsicht. Aufgrund der in den letzten Jahren wieder zurückgekehrten Kapitalismus- und Ideologiekritik erfährt Althussers Werk – nach einiger Zeit in der Versenkung – wieder eine verstärkte Rezeption. So wurde auch sein zusammen mit Étienne Balibar, Roger Establet, Pierre Macherey und Jacques Rancière verfasstes Hauptwerk Das Kapital lesen, das erstmals 1965 im Original erschien und 1972 lediglich in Auszügen ins Deutsche übersetzt wurde, vor zwei Jahren in einer vollständig übersetzten und ergänzten Neuausgabe veröffentlicht.[2] 2011 erschien außerdem die Neuausgabe seiner einflussreichen, ersten Monographie Für Marx bei Suhrkamp.[3]

Foucault äußerte sich 1970 in einem Vortrag an der Universität von Keio in Japan unter dem Titel "Zur Geschichte zurückkehren" eingehend zur Bedeutung Althussers für die französische Philosophie des Marxismus: "Althusser ist ein Marxist, der auf die Lektüre und Analyse der Texte von Marx eine gewisse Anzahl von Methoden angewandt hat, die man als strukturalistisch ansehen kann, und Althussers Analyse ist in der jüngeren Geschichte des europäischen Marxismus sehr wichtig gewesen. Sie ist deshalb so wichtig, weil Althusser die traditionelle marxistische Interpretation vom gesamten Humanismus, Hegelianismus und auch von aller Phänomenologie, die darauf lastet, befreit und insofern aufs Neue eine Lektüre von Marx möglich gemacht hat, die nicht länger eine universitäre, sondern geradezu eine politische Lektüre war; allerdings wurden die Althusser'schen Analysen, so wichtig sie anfänglich waren, sehr schnell von einer revolutionären Bewegung übergangen, die sich, obwohl sie sich unter den Studenten und den Intellektuellen entwickelte, eine, wie Sie wissen, im Wesentlichen antitheoretische Bewegung war."[4]

Und auch wenn Foucault sich wie hier noch an einigen anderen Stellen seines Werks auf Althusser bezog und dessen Einfluss für seine Zurückweisung des Humanismus sowie der Philosophie Hegels hervorhob, so versuchte er bereits früh diese Spuren in seinem Denken zu verwischen. In einem bereits 1967 publizierten Interview, das Foucault mit Raymond Bellour "Über verschiedenen Arten, Geschichte zu schreiben" führte, sagte er: "Da ich sein Schüler war und ihm viel verdanke, neige ich möglicherweise dazu, Dinge mit seinem Namen zu verknüpfen, die ihm vielleicht nicht recht sind, so daß ich diese Frage nicht beantworten kann. Ich sage nur: Schauen Sie in Althussers Büchern nach."[5]

Die Dokumentation "Wer also war Althusser?" könnte Gelegenheit geben, sich nochmals näher mit Althussers Biographie, seinem Werk und den vielfältigen Nachwirkungen unter den französischen bzw. europäischen Intellektuellen auseinanderzusetzen. Die Sendung ist über die Arte +7 Mediathek bis eine Woche nach der Ausstrahlung online abrufbar.



[1] Jacques Rancière: Die Lektion Althussers, Berlin: Laika 2014 (Orig.: La leçon d'Althusser, Paris: Gallimard 1975).
[2] Louis Althusser u.a.: Das Kapital lesen, hg. v. Frieder Otto Wolf, Münster: Westfälisches Dampfboot 2015 (Orig.: Lire le Capital, Paris: Éditions François Maspero 1965).
[3] Louis Althusser: Für Marx, hg. v. Frieder Otto Wolf, Frankfurt/M: Suhrkamp 2011 (Orig.: Pour Marx, Paris: Éditions François Maspero 1965).
[4] Michel Foucault: Zur Geschichte zurückkehren, in: ders.: Dits et Ecrits. Schriften in vier Bänden, Bd. II: 1970–1975, Frankfurt/M: Suhrkamp 2002, S. 331–347, hier: S. 335f.
[5] Michel Foucault: Über verschiedene Arten, Geschichte zu schreiben, in: ders.: Dits et Ecrits. Schriften in vier Bänden, Bd. I: 1954–1969, Frankfurt/M: Suhrkamp 2001, S. 750–769, hier: S. 752. Zu den theoretischen wie politischen Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen Foucault und Althusser siehe Andrew Ryder: Foucault and Althusser. Epistemological Differences with Political Effects, in: Foucault Studies 16 (2013), S. 134–153.

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